30. September 2024
Heute: Die Flente. Anas flenta.
Dieses lustige Tierchen ist nicht etwa ein besonders larmoyanter oder falsch geschriebener Zeitgenosse, sondern nichts anderes als der Grund eines uralten deutschen Sprichwortes und nebenbei auch der Namensgeber für ein Gewehr.
Um dies aufzuklären, müssen wir bis in die gotische Spätsteinzeit zurückkehren.
Um 1.000 nach Christus wurde in den Kirchenbüchern eines heute nicht mehr existenten Ortes namens „Brattzbahhe“ folgende Begebenheit vermerkt:
„Um darup zu kömmen, dinet sih [der] Köler in Flemis Entlin [das er] empor wurff; selbig Tirken wiset üm Pat wart [zum] Veld. Entlin schwunt nah in Veld, Köler sekelt in wizen gaben.“
Dieser kurze Text sagt nichts anderes, als dass ein Bratzbacher Köhler eine Flämische Ente geworfen und dabei ein Kornfeld gefunden und abgeerntet hat. Zur damaligen Zeit herrschte eine große Hungersnot in Bratzbach, weil der einzige Bauer des Ortes verstorben war und sein Geheimnis – den Standort des Getreidefeldes – mit ins Grab genommen hatte.
Der Entenwurf – der auch heute noch an einigen Orten Europas als „Sport“ oder „Tradition“ gepflegt wird – diente als Orakel in Krisenzeiten. Wenn die Ente ihre Flügel ausbreitete und davonflog, galt das als schlimmstes Unglückszeichen; deswegen warf man bevorzugt flugunfähige Rassen wie die Flämische Ente (auch Flämische Fettfleckente genannt). Die derart misshandelten Enten hatten natürlich nichts besseres zu tun, als nach ihrem Aufprall am Boden vor Schreck laut schnatternd davonzurennen; der Werfer folgte dem Tier dann bis zur Erschöpfung einer der beiden – man lässt schließlich in Notzeiten keine fette Ente entkommen! – oder bis er was besseres entdeckte, wie unser Köhler, der auf die Weise das erntereife Feld des verstorbenen Bauern wiederfand.
Aus Flämische Ente wurde später Flente; noch heute sagt man: „Die Flente ins Korn werfen“.
Auch das Schießgewehr erbte später den Namen der Entenrasse: Erpel dieser Rasse warf man nämlich besser nicht – sie neigten zum Jähzorn, drehten sich nach dem Aufprall um und attackierten den Werfer mit sehr schmerzhaften Hieben in alle erreichbaren Körperteile. Aufgrund eines besonders harten und spitzen Schnabels und einer für Enten unglaublichen Reaktionsgeschwindigkeit fühlten sich solche Bisse und Schnabelhiebe wie Schüsse an.
Der erste aktenkundige Mensch, der ein geladenes Gewehr in die Luft warf, dürfte nach dessen Aufprall am Boden ziemlich genau die gleichen Gefühle in den Waden gehabt haben, denn sein schmerzerfüllter Ausruf: „Aauaah – det piesakkt ess ne Flente!“ blieb schließlich als Spitzname an dem Schießprügel haften.
Das Werfen von Gewehren wurde gesetzlich verboten, über das Werfen von Flenten streiten sich heute Tierschützer mit Bürgermeistern [TAZ 18.8.2005].