14. Oktober 2024
Heute: Der Mangastar. Sturnus comicus.
Ein putziger kleiner Vogel sitzt im Baum und rührt uns mit gigantischen, glitzernden Glubschaugen zu Tränen. Wir wollen ihn sogleich pflücken und ganz doll lieb haben. Diesem Schicksal entzieht sich der Mangastar, indem er grundsätzlich außerhalb der Reichweite von hochhüpfenden, gerührten Menschen aufbaumt.
Außer seinen riesigen Kulleraugen besitzt dieser kleine Vogel eine weitere, auf Dauer recht unheimliche Eigenschaft: er rührt sich nämlich nicht, sobald man ihn anschaut. Es haben schon Leute zweieinhalb Stunden vor ihm gestanden und sich jedes Blinzeln verkniffen, um auch nicht die allergeringste Bewegung des Vogels zu verpassen – allein, es was zwecklos, sie konnten keine Bewegung wahrnehmen.
Aber – es wird noch viel unheimlicher.
Zwei Forscher der Plips-Universität Marburch bauten eine handelsübliche Schäuble-Kamera in den gegenüberliegenden Baum, die fortan rund um die Uhr treudoof zurück glotzte, und setzten ganze Kurse und Seminare junger, aufstrebender Studierender vor Überwachungsmonitore, bis diese Studierenden mit rotumrandeten Augen und entzündeten Bindehäuten meuterten, auf ihre Karriere verzichteten und bei der Blindenstudienanstalt einen Neubeginn wagten.
Der Vogel MUSSTE sich bewegen, das Bild vor der Kamera änderte sich gelegentlich, der Vogel schaute mal nach links, mal nach rechts, und so – aber gespenstischerweise immer nur dann, wenn KEINER hin guckte.
Auch in den Videomitschnitten, die Bild für Bild statt einer Eingangsklausur von Erstsemestern ausgewertet wurden, war niemals eine Bewegung des Vogels zu erkennen; einmal erfolgte diese Änderung im Schutze der Dunkelheit, so dass die Wissenschaftler schleunigst einen Scheinwerfer anbrachten – ein andermal erfolgte die Änderung, als eine universitätseigene 1-Euro-Putzsklavin Linse und Schäuble-Gehäuse von Algenaufwuchs befreite.
Das konnte nicht mit rechten Dingen zu gehen! Die Forscher arbeiteten einen Plan aus, um den Vogel zu fangen und im Dienste der Wissenschaft zu sezieren.
Als erstes wurden die Studierenden vor den Monitoren durch frische, mit künstlichem Tränenspray und Schutzbrille ausgestattete, ersetzt.
Als zweites besann man sich des Hausmeisters, schrieb einen Brief an die UniversitätsZentralverwaltung, um höchstpräsidialen Erlass zu erheischen, des Hausmeisters zentralverwaltete Alu-Teleskopleiter an den Beobachtungsstandort verbringen zu dürfen.
Der Uni-Fuhrparkverwalter wurde ebenfalls höchstpräsidial angewiesen, ein geeignetes Transportfahrzeug zur Beförderung der Leiter geländegängig zu machen, und nachdem das frische Studierendenteam drei weitere Male ersetzt worden war und die Schutzbrillen mittlerweile mit einem 500 Gramm schweren Automatischen Künstliche-Tränenflüssigkeits-Zerstäuber aufgerüstet und Stative für die Kinne der Beobachter von der zentralverwalteten Uni-Schlosserei herbeiimprovisiert worden waren, machte sich an einem Montag Morgen die Expedition Plips-Schäuble unter dem Aktendeckel-Codenamen PIPS auf ihren legendären Weg und riss mit einem schwer gepanzerten Kettenfahrzeug eine bombastische, in Luftlinie verlaufende Schneise an Kollateralschäden zwischen Zentralverwaltzungsfuhrpark und Beobachtungsort quer durch Marburch.
Die kameraüberwachenden Studierenden wurden mittlerweile im 5-Minuten-Takt ausgewechselt, aber immer so, dass mindestens fünf parallel den Monitor beobachteten, um jede Art von Fluchtbewegung des Vogels zu verhindern.
Das Kettenfahrzeug kam rasselnd am Sitzbaum des Vogels zu stehen, der erste Forscher bestieg die gepanzerte, von sechs Security-Leuten gesicherte Alu-Teleskopleiter, schmolz auf Augenhöhe mit dem Vogel in ganz doller Liebe kurz dahin, worauf sein Kollege diesen Impuls mit Pfefferspray an einer Teleskopstange zunichte machte, der nun Geblendete griff nach dem Vogel – die Studenten schrien kollektiv auf, etwas hatte sich in ihrem Gesichtsfeld bewegt!
Denn die Hand des Wissenschaftlers war ins Bild gekommen! Sie arbeitete sich nun zerrend und ruckend an dem unbeweglichen Vogel ab!
Jubel breitete sich aus, nach Monaten endlich eine Bewegung… wenn auch nur die einer Hand. Aber Bewegung ist Bewegung – die erste Sektflasche wurde geöffnet, und der Korken zerballerte leider den Überwachungsmonitor.
Und damit überschlugen sich die Ereignisse.
Der Forscher, den Vogel fest mit der Faust umklammert, fiel ob des plötzlich fehlenden Widerstandes des bisher bombenfest sitzenden Tiers rückwärts von der Teleskopleiter, übergab seinem Kollegen den zerquetschten Geier mit den Worten: „Finde heraus, was sein Geheimnis ist.“, und verstarb dann unter dramatischer Geräuschkulisse.
Forscher Nummer Zwei wandte sich mit dem Vogelkadaver an die Anatomie und an die ornithologische Fachwelt, hatte bald heraus, dass dies ein Mangastar – Sturnus comicus – sei – und von anatomischer Seite kam auch bald der Befund, warum der Vogel bei Sichtkontakt bewegungslos verharrt: er hat riesige Augen – das war klar, eigentlich – und dazu ein winziges Gehirn.
Das Gehirn kann immer nur eins auf einmal steuern: entweder Bewegung oder Gucken.
Das liegt darin, dass er ein Manga-Star ist. Ein Anime-Star hat exakt eine Gehirnzelle mehr und kann sich deswegen gleichzeitig bewegen und gucken. Diese eine Gehirnzelle mehr macht sich sogar in der Schädelform bemerkbar.
Für dieses banale Ergebnis mussten 120 Studierende erblinden, musste halb Marburch verwüstet werden, ein Forscher und ein Überwachungsmonitor mussten dafür sterben.
Banal ist dies Ergebnis deswegen, weil man es schon längst auf gutefrage.net hat nachlesen können:
„Heidi ist ein Anime! Animes sind mit Bewegung. Mangas ohne Bewegung.“
„Och, Heidi gab’s durchaus auch als Manga. Ich hatte als Kind sogar Heidi-Schablonen zum selberzeichnen.“
Und die Sonderkommission zu Plips-Schäuble – Codename Soko PIPS – wird noch lange was nachzuverwalten haben.
Zum Beispiel die Sargträger-Sonderzulage von sechs Security-Menschen im wissenschaftlichen Außeneinsatz mit Leiterfunktion.
Beteiligt:
HikE Worth
Text, Sprechix, Bilder
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