Vogel der Woche

Die Welt aus ornithomanischer Sicht!

Die Welt ist lustig, insbesondere aus Sicht der Vogelkundler. HikE schreibt seit vielen Jahren den „Vogel der Woche“. Angefangen hat die Serie im Morgenmagazin von Radio Unerhört Marburg, fortgesetzt wurde sie im Podcast Quatschbrötchen.

Vogel der Woche: #107 - Grappapapagei

14. Juli 2025

Grappapapagei

(Psittacus grappi R. SCHNEIDER, 1993)

Der Grappapapagei wurde erstmals auf Giglio beobachtet, wo er sich einem netten Herren in schwarzer Badehose auf die nackte Schulter setzte und das Ohr neben seinem Sitzplatz vom Abend des 22. September bis zum Morgen des 4. Oktober 1993 unbeirrt zulaberte. Er unterbrach seinen Vortrag nur, wenn ein gewisses alkoholisches Getränk gereicht wurde, und auch nur für den Zeitraum, den er benötigte, dieses Getränk zu ingestieren. Am späten Vormittag des 4. Oktober flog der Vogel weg und ward nicht mehr gesehn.


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HikE Worth
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Gregor Börner
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Vogel der Woche: #106 - Das Sommergoldhähchen

7. Juli 2025

Heute: Das Sommergoldhähchen. Regulus numbus.

Er war in einem Alter, wo es hieß:
die Goldhähnchen. Wo sind die denn?
(H. W. Bohle über Schwerhörigkeit bei Ornithologen)

 

Das Sommergoldhähchen ist ein sehr kleiner Vogel mit einer sehr hohen Stimme, und das ist hochproblematisch: es kann sich selbst und seine Artgenossen nämlich nicht hören, weil es für hohe Frequenzen taub ist. Reviergesänge prallen am ihm also ebenso ab wie gesungene Balzaufforderungen; erst in direktem Augenkontakt nimmt es an den hektischen Schnabelbewegungen wahr, dass sein Gegenüber ihm was mitzuteilen wünscht.

Da es allerdings auch nicht Schnabellesen gelernt hat, läuft seine Antwort regelmäßig auf ein „HÄÄH?!?“ hinaus. Selbstverständlich – denn das Sommergoldhähchen ist ja ein sehr kleiner Vogel mit einer sehr hohen Stimme – in einer so hohen Stimmlage, dass sein Artgenosse gegenüber – der ja auch ein Sommergoldhähchen ist – das ebenfalls nicht hören kann.

Und so „HÄÄH?!?“-en sich die Sommergoldhähchen den ganzen Sommer hindurch gegenseitig an, und der lauschende Naturfreund wünscht sich gelegentlich, ebenfalls ein bisschen taub zu sein.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #105 - Gegenpfeifer

30. Juni 2025

Der Gegenpfeifer. Charadrius contra.

Interviewt mensch einen kleinen Vogel am Wattenmeer, und fragt, wen oder was der am meisten doof findet, so bekommt mensch für gewöhnlich keine Antwort. Diese Vögelchen haben anderes zu tun, als in Mikrophone zu sprechen. Zwei Möglichkeiten, eine hörbare Reaktion zu erzielen, gibt es jedoch:

Erstens, mensch ist an einen Redenpfeifer geraten. Der beantwortet allerdings die Frage nicht, sondern sülzt Dummzeug, was verdächtig nach Bundestagsgelaber klingt.

Zweitens, der Vogel ist ein Gegenpfeifer. Der beantwortet die Frage allerdings, und zwar so was von, dass einem Menschen der Speicherplatz auf dem Recorder auszugehen droht, denn der Gegenpfeifer ist tatsächlich so ziemlich gegen alles. Und das ist – trotz der Kleinheit des Vogels – eine ziemlich umfängliche Stichwortliste, bei deren Vortrag man sich relativ schnell vorkommt wie in einer Lesung aus dem Telefonbuch einer kleineren Stadt wie, sagenwirmal, Berlin, Spalte Schmidt. Der Gegenpfeifer kann, wie alle Vögel, sowohl beim Ein- wie auch beim Ausatmen reden, so dass es nicht einmal eine Atempause gibt. Einigen Gerüchten zufolge soll der Gegenpfeifer bereits den Tod mehrerer Journalist*innen im Wattenmeer verursacht haben, da er selber problemlos schwimmt und keine Rücksicht auf die Gezeiten nimmt, und Journalist*innen sich für gewöhnlich nicht auf zehnstündige Aufnahmesessions im Schlickwatt eingerichtet haben, beispielsweise indem sie sich vorher ein Schlauchboot umgeschnallt haben.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #104 - Die Brombeerqalle

23. Juni 2025

Heute: Die Brombeerqualle. Morelia aurula.

Die wunderbare Welt der weichen Wassertiere hat mit der Brombeerqualle ein Prachtstück der Evolution abgeliefert. Der dunkel schwärzlichviolette Schirm dieses Hohltiers besteht aus vielen einzelnen Bläschen, die ihm das Aussehen einer gigantischen Brombeere geben. Diese Bläschen lösen sich zu bestimmten Jahreszeiten leicht vom Schirm ab und werden an Stränden angespült, wo sie nicht nur einen Duft nach Brombeeren verbreiten, sondern auch von Einheimischen aufgesammelt und nach der Reinigung von anhaftendem Sand als Brombeerpudding verzehrt werden. Das Auftauchen der „Brombeerpuddings“ erfolgt mit einer so großen Regelmäßigkeit auf eine Nipptide nach der Sommersonnenwende, dass der Termin in örtlichen Kalendern als Feiertag verzeichnet ist.

Von Hohltieren ist bekannt, dass sie Generationswechsel haben, also zum Beispiel ein festsitzender Polyp Medusen abtrennt, die dann als Quallen herumschwimmen und die Sache mit dem Eier legen übernehmen, aus denen wieder Polypen schlüpfen, und so weiter. Dieses Modell des Generationenwechsels gibt es bei den Hohltieren in allen möglichen Kompliziertheitsstufen bis zum simpelsten „ätsch ich bin immer eine Meduse / ätsch ich bin immer ein Polyp“, wo gar kein Wechsel stattfindet.

Die Brombeerqualle hat einen Zacken drauf gelegt und lässt ihren dreifachen Generationswechsel abwechselnd im Wasser und an Land stattfinden. Die Meduse, also die Qualle, legt keine Eier, sondern produziert Brombeeren. Sobald diese von Wirbeltieren wie z.B. einheimischen Menschen verzehrt werden, wächst in deren Innerem ein Polyp heran, der ab Beginn der Badesaison eine Woche lang massenhaft kleine Kerne produziert, die mit den Stoffwechsel-Endprodukten entweder in Kläranlagen landen oder irgendwo hingeschietert werden, zum Beispiel heimlich in die Dünen oder an den Strand. Aus diesen Kernen wachsen Chlorophyll enthaltende, trockenheitstolerante Polypen, die an verschiedenen Pflanzen wie Heidesträuchern oder Strandhafer heraufklettern, sich zu mehreren in die Blütenknospen setzen, die Pflanze anzapfen und in der geenterten Knospe entweder eine gemeinsame Cyste oder ein Ei bilden (das weiß man noch nicht so genau). Jedenfalls sind die „Eier“ dieser Polypen ziemlich groß und aus irgend einem Grunde besonders attraktiv für Möwen, welche sie gezielt aus den Büschen heraus picken und runterschlucken. Bei den Möwen-Flügen landen sie auf üblichem Wege wieder im Meerwasser, und die nächste Brombeerqualle schlüpft.

Die Menschen tragen übrigens keinen Schaden durch den Polypen davon, sie schreiben das leichte Druckgefühl im Bauch und den vermehrten Stuhldrang zu Beginn der Badesaison dem Konsum von zu viel leckerem Eis am Strand zu.


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Vogel der Woche: #103 - A-Meise

16. Juni 2025

A-Meise (Parus alpha HELGA, 2014)

Die Ameise ist der McGyver unter den Kleinvögeln. Ständig bastelt sie mit ihrem Team ganz abenteuerliche Verhaue und fahrbare Panzernester, und zwar nicht um selber darin zu brüten, sondern immer nur als Hilfsmittel, wenn ein anderer hilfloser Kleinvogel von einer Riesenraubelster, einem Miesepeter oder ähnlich finsterem Gelichter bedroht und zu Schutzgeldzahlungen erpresst wird.

In ihrem Team befinden sich nicht nur einige weitere Ameisen, sondern auch ein Rohrhammer und ein Fietsenraubsänger; ersterer wird für die groben Blecharbeiten gebraucht, und zweiterer wird – für ihn selbst überraschend – regelmäßig überlistet und als Wunderwaffe eingesetzt, um einem gefangenen Fiesling, der zuvor als Fahrrad getarnt und angekettet wurde, ganz gehörig eins überzuplätten.

Die Ameise ist ein durch und durch sympathischer Vogel, obwohl sie einen erheblichen Grad an Machismo an den Tag legt und eine dermaßen große Menge Dreck am Stecken hat, dass sie von der Obersten Knödelbehörde steckbrieflich gesucht wird. Sie nimmt das aber nicht so schwer, sondern sieht den Hickhack mit der Knödelbehörde als sportliche Herausforderung.

Gelegentlich kann sie einer der ferngelenk­ten, niedersausenden Fahndungsknödel-Drohnen nur sehr knapp entkommen, in dem Fall schwört sie sich, nie wieder nach dessen Sonnenblumenkernen zu picken, sondern ein Weilchen von kleinen Blattläusen zu leben.

Allerdings dauert es keine zwei Wochen, und die Ameise verfolgt ihrerseits wieder die überall herumschwirrenden Knödel, bis sie mit List und Tücke wieder einen Sonnenblumenkern ergattert hat.

Diesen erbeuteten Sonnenblumenkern braucht sie spätestens dann, wenn sie mal wieder zusammen mit ihrem Team einem hilflosen Kleinvogel erfolgreich aus der Bredouille geholfen hat – dann steckt sie­ ihn sich seitlich in den Schnabel und sagt:

„Ich liebe ech, wenn ein Plan funkchioniert.“


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #102 - Der Rara

9. Juni 2025

Der Rara. Ara rara.

Mauritius ist der Ort seines Vorkommens, blau ist sein Gefieder. Das deutet an, dass dieser Vogel selten ist. Sehr selten. Fast schon im Bereiche der Sagenhaftigkeit selten. Romantikern die Blaue Blume, Briefmarkenfetischisten die Blaue Mauritius, Ornithologen der Blaue Rara. Wenn der Rara sich nicht selbst poppen würde, dann würde er aussterben-selten. Genau SO rar ist der Rara. Seltener geht überhaupt nich. Ein Unikat. Quasi. Boah.


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Gregor Börner
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Vogel der Woche: #101 - Der Boller-Cordie

2. Juni 2025

Heute: Der Boller-Cordie. Canis familiaris colleris.

Der Boller-Cordie ist ADHS in Hund-Form. In der Wohnung ist er durch nichts am Fleck zu halten, befindet sich in Dauer-Rotation wie ein Schwarm Zuckmücken, und tönt dabei lauter als der Frankfurter Flughafen unter Beschuss durch Außerirdische. Es wurde schon die Vermutung geäußert, dass der Boller-Cordie selber ein Außerirdischer ist, da er erst bei zunehmender Betriebsamkeit so richtig zu entspannen scheint und öfters den Eindruck erweckt, er würde mehrere Minuten überm Boden levitieren, obwohl seine Pfotengeräusche auf dem Parkett laut und deutlich zu hören sind.

Öffnet man die Wohnungstür, ist der Boller-Cordie sogleich mit einem Raketenstartgeräusch ins Freie entschwunden, und man wartet einfach, bis er mit Nachbars Rinderherde oder einem Rudel umzingelter Gäste einer Trauerfeier samt Sarg und Sargträgern wieder auftaucht und ins Haus will.

Versuche, den Boller-Cordie an seinen selbständigen outdoor-Aktitiväten zu hindern, sind auf Dauer nicht von Erfolg gekrönt. Sich selbst an das hintere Ende einer Leine zu hängen, an der vorne dieser Hund loszischt, endet grundsätzlich, nach eventuellem Hinterherflug leichterer Personen, mit Fesselung. Auch Schlittenfahrten sind mit einem Boller Cordie als Zugtier nicht möglich, denn dieser Hund will Dinge einkreisen und tut das auch.

Steht erst mal die Rinderherde oder Trauergemeinde im Wohnzimmer, lässt sich der Boller Cordie glücklich die Ohren kraulen, gibt Pfötchen und benimmt sich wie ein ganz normaler Hund.


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Vogel der Woche: #100 - Der Bieradler

26. Mai 2025

Heute: Der Bieradler. Aquillablabla cervejae.

Nicht ganz so gemütlich wie der Bierbussard kommt der Bieradler ‚rüber. Er hält sich selbst für eine echte Stimmungskanone, die bei keiner geselligen Runde fehlen darf; die anderen Vögel teilen von dieser Metapher nur das Bild der Kanonenkugel, welche in eine vormals friedlich-fröhliche Runde einschlägt.

Fröhlichkeit z. B. in einem Biergarten zieht ihn magnetisch an; allerdings macht der Adler bereits bei seinem Eintreten Stress an der Theke und nölt rum, er belauert jede Bewegung des Zapfhahns beim Zapfen, kontrolliert den vom Eichhörnchen aufgemalten Eichstrich an sämtlichen sichtbaren Gläsern mit seinem Adlerauge und teilt allen anderen Anwesenden unaufgefordert mit, dass alles unter seiner Kontrolle ist.

Das mag natürlich kein anderer Vogel während seines Feierabends, und auch kein anderes Tier, weshalb es im Biergarten mit dem Aufschlagen des Bieradlers erstmal still wird. Davon bemerkt der Adler nichts, da er – als echte Stimmungskanone – ja schließlich gewohnt ist, dass seine nun einsetzenden Monologe und Reden zum Feste nicht unterbrochen zu werden haben.

Jedoch hat er auch mit dem best-kontrollierten und korrektest-abgefüllten Bier alsbald Probleme welche er auch beim größten Argwohn nicht auf den Wirt zurückführen kann; die Bierkenmaus-Clique aus den Bäumen beginnt nämlich, ihm Streiche zu spielen. Flugs ist des Bieradlers Humpen während eines seiner Monologe mit einem langen Strohhalm geleert, oder in seinen Flaschenboden wurde ein Loch geknabbert, noch bevor er den Kapselheber (Verwaltungsdeutsch für Flaschenöffner, Kronkorkenentfernungswerkzeug; in der Praxis meist alles vom Einwegfeuerzeug bis zum 30 cm langen Schlitzschraubendreher) zum Einsatz gebracht hat.

Die anderen Tiere bekommen diese Streiche durchaus mit und sind einerseits erleichtert, dass ihre eigene Hopfenkaltschale nicht auf dem Radarschirm der anarchischen Hüpfmäuse ist, andererseits freuen sie sich daran, wie der mürrische und herrschsüchtige Bieradler zunehmend die Kontrolle über seine Umgebung verliert.

Laut zu lachen traut sich allerdings kein anderes Tier, denn der Bieradler ist wirklich sehr nachtragend, wenn etwas seine furiosen Nörgelmonologe unterbricht, und seine Stimme ist, wie die der meisten Adler, nicht nur nicht besonders lieblich, sondern sie kann sich von Genörgel bis zu einem Kreissägen-Kreischen steigern. Und ein kreischender Bieradler ist das Letzte, was die friedlichen Vögel zu ihrem Bier, ihren Nüsschen und ihrem Tagesausklang brauchen können.

Also verschluckt sich höchstens mal der eine oder andere, wenn er bei einem besonders dreisten Streich der Bierkenmäuse selber das sprichwörtliche Mäuschen sein darf, und sprüht dann sein Getränk durch die Nasenlöcher wieder aus.

Nach ungefähr drei oder vier Streichen zischt der Bieradler endlich beleidigt ab, und der Zapfhahn schickt ihm eine oder zwei Hennen hinterher, um sicherzustellen, dass der Adler außer Hörweite ist. Und solange die Hennen nicht wieder da sind, müssen alle anwesenden Tiere stillhalten, egal wie viel Bier sie aus den Nasenlöchern sprühen – weil sie wissen, dass der Bieradler beim leisesten Lacher wieder umdreht und erneut seinem Auftrag als echte Stimmungskanone nachkommen muss.


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HikE Worth
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Vogel der Woche: #099 - Olme der Tieflahn

19. Mai 2025

Die Olme der Deutschen Tieflahn-Expedition

Am 25. April 2021 setzte an Bord von U901 ein Edit-War ein, als es an die Bearbeitung der Exkursionsausbeute im Bereich der Olme ging (das sind Lurche aus der Tierklasse Amphibia). Bis heute wissen wir nicht, ob die nun folgend genannten Arten valide sind, oder ob sich da nur die beiden Kapitäne des Uboots gegenseitig gefoppt haben.

Aber lassen wir die beiden selbst zu Wort kommen.

  •  Schottenolm (Amphibius ventilis Kalamari, 2021)

Ein Tier, das am liebsten auf der Luke sitzt und verhindert, dass die Schotten dicht gemacht werden können. Auf einem Uboot so ziemlich das zweitlästigste Tier nach Tape Ahab.

  • Sprottenolm (Amphibius sprattiformis Kalamari, 2021)

Neuentdeckte Fischart, Quatsch, Lurchart, aus dem Marburger Meer da wo es am tiefsten ist. Der Sprottenolm ist klein, glitzert silbrig, kommt in Schwärmen vor und schmeckt erstaunlich nach erstaunlich leckerem Dosenfisch.

  • Kalamari (Amphibius tentakelis Ahab, 2021)

Ein hässlicher Klotz, der viele glitschige Arme hat und zudem Maulbrüter ist. Geradeausschwimmen ist nicht seine Sache, außer eine Erdnuss wird an einer Angel vor ihn gebunden. Ist nach dem Schottenolm so ziemlich das lästigste Tier an Bord.


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Vogel der Woche: #098 - Brieftaube

12. Mai 2025

Die Brieftaube. Columba lettera.

Die Brieftaube, wer kennt sie nicht aus Anekdoten von Opa, wenn der „vom Krieg“ oder „aus’m Ruhrgebiet“, oder von „damals als ich noch römischer Kaiser war“ zu erzählen anfängt? Ein Vogel, dem man Depeschen umschnallte und ihn dann fliegen ließ, weil Tauben, wie Forschix heute weiß, einfach einen sensationell geilen Orientierungssinn haben mit Magnetfeldkompass, polarisiertes Licht sehen und was weiß ich sonst noch alles für Hightech Features – Tauben sind sogar bekannt dafür, ein Tonstudio im Hals zu haben, aber ich lenke ab.

Joar, die Tauben selbst, die fanden das wahrscheinlich mit den Briefen eher nicht so prickelnd, aber sie waren eben jenseits ihrer für einen Menschen absolut befremdenden Ortungssinne sensationell geil auf ihre Lebenspartner*innen, welche, am Zielort eingesperrt, ihrer Beziehungs-Gegenstücke harrten, um bei nächster sich bietender Gelegenheit zwo Eier zu legen, zwei sensationell hässliche Küken ihr Familienglück zu nennen und sie mit Kropfmilch zu atzen.

Tauben sind sensationell seltsam.

Und wenn Opa davon erzählt, ist das für die meisten Zuhörenden eine Art tektonische Plattenverschiebung im Raum-Zeit-Kontinuum, wo doch heute Smartphones all das können, was früher die Brieftaube „by nature“ draufhatte, und zwar ganz ohne 5G-Sendemasten.

Zurück zur Brieftaube. Früher, schon in der Antike, wie wir aus Asterix-Filmen wissen, schleppte die Brieftaube Botschaften durch die Gegend, und war ’ne echte Konkurrenz zum reitenden Boten, hatte aber im Gegensatz zum reitenden Boden das gleiche Problem wie heute die Drohnen: Greifvögel, die entweder keinen Bock auf Durchzug durch ihr Revier hatten, oder viel Bock auf Mahlzeit. – Okay, die ersteren können, zur Brutzeit, in Wäldern oder Parks unterhalb ihrer Brutbäume mit den Horsten oben drauf auch schon mal angriffig auf sich schnell bewegende Dinge, wie z. B. reitende Boten, Radler oder freizeitrennende Menschen reagieren. Da muss es nicht die Brieftaube als Auslöser sein, zugegeben.

Jedoch hatte die Brieftaube trotzdem das Problem mit den Greifvögeln, egal ob durch „Mein Revier!“ oder „Essen!“ motiviert, und wir sind hier nun mal nicht ein Wissenschaftspodcast, sondern eine satirische Serie. Also Schnauze dahinten und weiter im Plot. Ich wollte nämlich ganz woanders hin.

Also die Brieftaube von der bereits Opa Julius Cäsar vor sich hin erzählt, hah, wer hätte das nun gedacht? – die meine ich gar nicht. Die hätte nämlich den Artnamen Columba livia domestica.

Ich will reden von der Columba lettera, der Namensnachfolgerin jener einstmals im großen Stile hochleistungsgezüchteten, vorhin beschriebenen, heute nur noch in Form von Stadttauben sattsam bekannten Vogelsorte.

Die Columba lettera transportiert keine Briefe. Sie sitzt im Schwarm der Stadttauben, fliegt mit ihnen die taubentypischen Kurbeleien, stürzt sich wie blöde auf Zeug, was ihr hingekrümelt wird, findet ihre*n Lebenspartner*in so geil wie jede andere Taube das mit – okay, weniger kompliziert formuliert: geht wie jede andere Taube eine stabile Langzeitbeziehung ein die nur der Omnibus-Zwillingsreifen oder ein Greifvogel, oder schimmliges Brot als Futter beenden kann – verabfolgt mit Hingebung den sensationell hässlichen zwei Taubenküken pro Brut Müsli aus’m Kropf, mit Milch, alles tauboid quasi.

Bis auf einen Punkt. Die Columba lettera, da vor deinem Dachwohnungs-Fenster auf dem Lawinenfanggitter balancierend, die Dachrinne bis zum Eichstrich vollkackend und mit ihren Kolleg*innen gemeinsam Taubengeräusche machend, die macht ein ganz besonderes Geräusch.

Wo sie das gelernt hat, ist unbekannt, aber es klingt nach einer Post-Werbekampagne der späten 1980er Jahre.

Die gurrt: „Schrrreib mal wieder. gurrruuuh.“

Guten Morgen.


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